Leistungsbeurteilung & Benotung
Pädagogische & rechtliche Hilfe für die Schulpraxis
Herr Prof. Neuweg, Ihr Buch „Kompetenzorientierte Leistungsbeurteilung. Pädagogische und rechtliche Hilfestellungen für die Schulpraxis“ erscheint nun schon seit dem Jahr 2000 (das ist fast ein Vierteljahrhundert) in mehreren Auflagen im TRAUNER Verlag und wurde bereits über 14.000 mal verkauft. Das ist ja ungewöhnlich für ein Fachbuch. Wie erklären Sie sich diesen großen Erfolg?
Prof. Neuweg: Es hat sicher damit zu tun, dass Leistungsbeurteilung ein hochemotionales Feld ist – und zwar nicht nur für die Schülerinnen und Schüler. Auch den Lehrkräften ist bewusst, dass es hier um viel geht, und für viele ist die Beurteilungsaufgabe durchaus auch eine Belastung. Es ist verständlich, dass man hier Handlungssicherheit gewinnen will – und dazu will das Buch ja einen Beitrag leisten. Es gibt noch eine zweite Ursache für den Erfolg: Das Thema wird in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung leider stiefmütterlich behandelt, sodass viele Praktikerinnen und Praktiker bald merken, dass sie hier vor allem auch noch rechtliches Rüstzeug brauchen können.
Wie sind Sie persönlich zu diesem Thema gekommen? Welche Erfahrungen bringen Sie mit?
Prof. Neuweg: Ich bin sozusagen Mehrfachbetroffener. Erstens habe ich persönlich eine bewegte Notengeschichte. Sehr guter Volksschüler, Klassenschlechtester in der Unterstufe des Gymnasiums und dann wieder Klassenbester in der HA. Zweitens habe ich zwei Jahre lang unterrichtet und dabei vor allem gelernt, dass man sich nicht nur den Schülerinnen und Schülern, sondern auch den Eltern gegenüber ständig erklären muss. Drittens habe ich einen Sohn, der erfolgreich seine Schullaufbahn absolviert hat; aber über manche Praktiken in der Notengebung musste ich mich durchaus wundern. Und schließlich: Für mich als Universitätslehrer gehörten Prüfungen zum täglichen Brot.
Was macht für Sie die Faszination dieses Themas aus? Was finden Sie daran so interessant?
Prof. Neuweg: Es sind zwei sehr unterschiedliche Komponenten. Die eine ist: Leistungsbeurteilung prägt uns alle in der Schule sehr tief. Wir verbinden damit oft Gefühle von Stolz, aber oft auch das Gefühl von Beschämung und Kränkung. Unser Selbstwertgefühl wird dadurch entscheidend beeinflusst. Das zweite ist: Leistungsbeurteilung ist für alle Beteiligten sehr belastend, sie stört in Wahrheit das Leistungsklima, ist also ein notwendiges Übel. Ich staune oft, wie produktiv die Zusammenarbeit mit Lernenden in Kursen ist, die ich außerhalb der Universität anbiete, die freiwillig besucht werden und wo es keine Benotung gibt. Die dort erlebbare Motivation kann ich durch Notenzwang an der Universität niemals erzielen.
Wie hilft dieses Buch, wenn man als LehrerIn unsicher bei der Notengebung ist?
Prof. Neuweg: Es hilft unter anderem, weil es die rechtlichen Grundlagen gut verständlich darstellt. Damit sichert es mehr Fairness und schützt vor Widersprüchen – oder hilft zumindest dabei, diesen mit kompetenten Stellungnahmen zu begegnen.
Sie gehen auf pädagogische und auf rechtliche Fragen ein. Was kann man sich darunter vorstellen?
Prof. Neuweg: Für meinen Geschmack fürchten sich viele zu sehr vor Widersprüchen. Eigentlich sollte es aber darum gehen zu überlegen, wie man die Leistungsbeurteilung pädagogisch sinnvoll interpretieren kann. Sie bietet so viele wunderbare Bewegungsspielräume, die oft ungenutzt bleiben. Deshalb will das Buch auch zu einer förderorientierten, pädagogisch wertvollen und vielschichtigen Leistungsfeststellung animieren.
Welche sind die allgemeinen Herausforderungen für LehrerInnen bei der Notengebung heutzutage?
Prof. Neuweg: Der Lehrerinnen- und Lehrerberuf ist ein enorm anstrengender Beruf. Ich glaube, dass die Gesellschaft unterschätzt, was Lehrkräfte Tag für Tag leisten. Und die Leistungsbeurteilung gehört zu den Berufsaufgaben, die besonders an den Kräften zehren.
Sie nehmen in dieser erweiterten Neuauflage ja auch Bezug auf das Thema KI. Wird es in Zukunft fast nur noch erschummelte Hausübungen geben?
Prof. Neuweg: Vielleicht dann, wenn wir nicht schnell genug lernen, intelligente Aufgaben zu geben, bei deren Lösung man – wie auch im wirklichen Leben – KI nutzen darf, deren Ergebnisse dann aber der Mensch noch bewerten und weiterentwickeln muss. Wir durchlaufen hier auch an der Universität gerade einen spannenden Lernprozess. Die Devise muss lauten: „Fürchtet Euch nicht!“